ORJAZZTRA Vienna
La Melodia della Strada
Dieses neue, durchkomponierte Programm ist von deutlich theatralischem Charakter, schwelgt mit großem Orchesterklang in den barock opulenten, phantastischen Bilderwelten eines Federico Fellini und erinnert sich fern – und ohne wörtlich zu zitieren – an die wunderbaren
Filmkompositionen dessen engen Wegbegleiters und wichtigen künstlerischen Partners Nino Rota.
Der prinzipielle Ansatz des Orjazztra, dass jede(r) Musiker*in für ein ausführliches, improvisiertes Solo als musikalisches Individuum aus dem Kollektiv heraus- und in dieses wieder zurücktritt, spiegelt hier auch ein filmisches Verfahren: Nämlich aus dem öffentlichen Raum, einer
Gesellschaft, Gruppe oder Gemeinschaft hinein in das ganz Persönliche, Unverwechselbare und Einzigartige eines Menschen zu zoomen.
Stephanie Schoiswohl, Patrick Dunst, Yvonne Moriel,
Robert Unterköfler, Ilse Riedler, Florian Bauer – saxophones, clarinets
Gerhard Ornig, Lorenz Widauer, Dominik Fuss – trumpet, flugelhorn
Alois Eberl, Daniel Holzleitner, Christina Lachberger – trombone
Viola Hammer – piano
Judith Ferstl, Marc Mezgolits – bass
Judith Schwarz, Marton Juhasz – drums
Christian Muthspiel – compositions, leader
Ein begeistertes Kinopublikum, das sich im Rhythmus eines Lichtspiels im Dunkel wiegt – und dann doch geschlossen von den Klappstuhlreihen aufspringt und auf die Gasse stürmt, um dort den ersten Schnee zu bejubeln….
Ein gutmütiger, knochiger Narr, der den Anstaltswärtern in die Krone einer Platane entkommt und aus der Höhe verzweifelt in den Sommernachmittag schreit: Ich will eine Frau! Wieder und wieder: Ich will eine Frau!, und der kurz vor Sonnenuntergang von einer Zwergin in Nonnentracht über eine Holzleiter unerbittlich zurückgeführt wird in seine Einsamkeit…
Und endlich die Dorfschöne, der aus Gassen und Fenstern bewundernd Gradisca! nachgeseufzt wird, Gradisca!, die in ihren engen Kostümen Männerträume beherrscht und schließlich alle Verehrer doch verlässt, um sich in die Frau eines Polizisten aus der Stadt zu verwandeln…
Haben wir die Schneewirbel in der Gasse vor dem Kino, den Einsamen in der Baumkrone oder die unerreichbare Schöne tatsächlich gesehen und dabei vom Schnee geträumt – oder wurden Gassen und Felder, ein ganzes Dorf und seine Bewohner einmal mehr herbeigeblasen – auf Klarinetten, Tenor-, und Altsaxophonen, Trompeten, Posaunen und einem Flügelhorn, geschlagen, gestrichen, gezupft auf den Saiten eines Kontrabasses, eines Klaviers, den Fellen und Becken eines Schlagzeugs oder durch eine andere der vielen Stimmen des Orjazztra Vienna?
Wer sich von diesem Orchester in einen dichten Kokon aus Melodien einspinnen lässt, in eine Melodia della Strada, der wird solchen und anderen, nie gesehenen Bildern und Traumgestalten begegnen auf einer Straße, die aus der nächsten Nähe in die Weite führt, aus dem Stroh hochsommerlicher Felder in den ersten Schnee oder in das klare Licht der Erinnerung, jedenfalls aber in gerader Linie und ohne Barrieren und Schlagbäume ins eigene Herz. (Christoph Ransmayr)